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Die Rausfahrer

Report 28.8.99 Teil II
Lugau und Domsdorf

Karte auf der Lugau-Seite!

Also anfangs klang’s ja etwa so wie ein Kettensägen-Massaker in einem Hektar Eichen-Wald. Dann aber wurde schnell klar: das Geräusch stammt von einem Geschwader Schwalben. Nur waren diese, äh, Fahrzeuge unter dem Dunstschleier ihrer Abgasfahnen kaum auszumachen. Der Fachmann merkt’s sofort: Thema ist die Simson-Schwalbe, das DDR-Mokick und heutige Kultobjekt entsprechender Freaks. Ort der Handlung (Mißhandlung?) ist Lugau bei Doberlug-Kirchhain, Niederlausitz, Sonnabend Mittag vergangener Woche.

Die Schwalbe in dürren Worten: Gebaut wurde das eigentlich recht praktische Vehikel von 1964 bis 1992 bei Simson in Suhl. Es bestand aus einem rollerartigen Rahmen mit Beinschild und Trittbrettern, tiefem Durchstieg, großen (16-Zoll-)Speichenrädern und einem 50-Kubik-Zweitaktmotor, der ursprünglich 3,4 PS leistete, ab 1979 sogar 3,7 PS. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Dreiganggetriebe um einen vierten Gang ergänzt. Die Höchstgeschwindigkeit liegt im Normalfall bei 60 bis 70 km/h.

Aber was war in Lugau schon normal? Immerhin waren bestimmt 100 Exemplare dieses seltsamen Vogels beisammen, um die sechste Rallye Monte Lugau zu begehen (nebenbei: ein paar Dreirad-Duos, jene noch seltsameren Gefährte, die gemeinhin dem Behinderten-Individualverkehr dienten, waren auch anwesend, überdies die Mopeds der 60er Jahre, die SR 1 und 2).

Granitschwalbe im MatschGestartet wurde jeweils in Sixpacks auf einer rund zwei bis drei Kilometer langen Strecke durchs Dorf, das dafür vollkommen von der Außenwelt abgesperrt war. Schikanen würzten die Rennstrecke, etwa mit einem Schlammloch, einer Slalomstrecke und einem Engpaß. Die Kombattanten mussten überdies zeigen, dass sie in der Lage sind, eine Mullbinde anzulegen. Als Opfer dienten freilich nur Extremitäten von Schaufensterpuppen.

Ein Teil der Fahrer nahm das Rennen durchaus ernst. Da gab es Mopeds, deren Geräusch auf feilende Handgriffe hinwies, zumindest, was die Abgasanlage betrifft. Bei einem Zweitakter, der ohne Ventile auskommen muss, ist das Ausräumen des Auspuffs ja immer eine heikle Sache. Denn die Abgase dürfen nicht einfach ohne Widerstand ins Rohr flutschen - geht alles zu leicht, verschwinden auch Frischgase ungenutzt. Ein bestimmter Rückstau ist notwendig, sonst geht Leistung flöten.

Manch Anderen war das wurscht, sie legten wesentlich mehr Wert auf ein gepflegtes Ambiente. Eine Schwalbe fiel uns besonders auf, rote Farbe mit schwarzen Punkten trug sie, ihre Fahrerin ebenfalls. Diese war auch noch mit Flügeln ausgestattet, sie trug überdies eine Haube, an der Fühler befestigt waren. Unter den Duos ragte einer heraus, dieses Rollzeug war aufgemacht wie ein Fernlaster. Naja.

CrosserAuf dem Festplatz, neben dem Fahrerlager, ging’s übrigens auch nicht gerade leise zu. Mal ehrlich, bei einer Schwalbe herrscht noch Sommerstimmung, in diesem Haufen jedoch, da kann das kakofone "Dädäräh, dadeng deng, deng, darääh, rääh, räääh, (...) grooooh" (oh, Sprit endlich alle?) ganz schön nerven. Ganz zu schweigen von den olfaktorischen Beleidigungen unverbrannter Kohlenwasserstoffe. Bäh. Nicht bös sein, Leute, aber für ein viertaktendes Altchen war’s denn doch schnell zu viel, weiterhin frohes Fest, noch.

Der größere Teil unserer Gruppe flüchtete also (an)gemessenen Schrittes. Bei der Weiterfahrt stolperten unsere Augen (ja, Augen können auch mal stolpern, basta) über ein Schild am Straßenrand. Auf dem stand: "Zur Brikettfabrik Louise", das "da lang" war durch die Form des Schildes gekennzeichnet. Es ist die älteste Brikettfabrik Europas, sie liegt in Domsdorf, wenige Kilometer südwestlich von Doberlug und Kirchhain. Zwar brauchte von uns gerade niemand solches Brennmaterial, aber die Fabrik ist ohnehin seit 1991 dicht, heute also ein sehr sehenswertes technisches Denkmal.

FörderbandGebaut wurde sie 1881, nach einem Jahr war sie betriebsfertig. Ursache für den Bau war Braunkohlenstaub, der beim Abbau der dortigen Flöze in großen Mengen anfiel, und mit dem in dieser Gestalt nichts rechtes anzufangen war. Zu Briketts gepreßt jedoch wärmte das Material Millionen von Wohnräumen - ökologisch nicht gerade einwandfrei, aber wer sonst nichts hat, ist dennoch froh. Und so wurde bald nicht nur der Abbau-Staub verarbeitet, sondern auch die Brocken. Freilich mussten sie erst zerkleinert werden.

Dies geschah, wen wundert’s, zunächst in einem Brecher und dann in Schleudermühlen. Letztere lassen sich etwa so beschreiben: Man nehme zwei Hamster-Laufräder, von denen das eine etwas kleiner ist als das andere. Das eine Laufrad schiebe man ins andere und drehe beide mit hoher Geschwindigkeit in gegensätzliche Richtung. Diese Konstruktion packe man tunlichst in ein Gehäuse und werfe von oben das zu zerkleinernde Material ein. Es wird irgendwann zwischen die beiden Räder gelangen und von ihnen zerrissen.

Was aus dieser Mühle unten herauskam, wurde auf Schüttelsieben separiert. Die Teilchen, die kleiner als sechs Millimeter waren, durften sich bald Brikett nennen, die größeren wanderten in die Feuerung des Dampfkessels. Dieser Dampf diente anfangs zum Antrieb der ganzen Fabrik, allenthalben waren Rohrleitungen und Transmissionsriemen verlegt. Strom gab es erst ab 1908, vorher war auch das Innere des Werks nur von Petroleumfunzeln erhellt (?) worden.

SchildNaturbraunkohle hat bekanntlich einen hohen Wassergehalt, der von etwa 60 Prozent auf 20 reduziert werden muss, damit aus dem Zeug überhaupt etwas Sinnvolles werden kann. In den Anfangsjahren wurde das zerkleinerte Material in insgesamt sechs "Tellertrocknern" entwässert. Das funktioniert im Prinzip ganz einfach: Man stelle hierzu alle Teller, die in der Küche zu finden sind, auf einen Stapel, bohre in der Mitte eine Drehwellenöffnung hindurch sowie im wellennahen Bereich jeweils ein Loch (man könnte dazu auch den Plattenstapel einer Computer-Festplatte benutzen, aber die wäre dann kaputt, während Geschirr doch schon mal ein Loch verträgt). Hier freilich hat der Teller den Durchmesser einer Pizza für Erwachsene, also rund zwei Meter. Und der Stapel ist gut vier Meter hoch.

Erhitzt wird das Ensemble mit Dampf. Außerdem muss natürlich zwischen jedem Teller ein kleiner Abstand eingebaut werden. Dann hole man einen sehr großen Kamm aus dem Bad und lege die Zinken so ein, dass sie in diese Abstände eingreifen und die Teller bestreichen können (halt wie die Lese- und Schreibköpfe einer Festplatte).

Von oben fällt nun zum Beispiel gekochter Reis auf den ersten Teller. Der ist heiß, also beginnt der Reis zu trocknen. Während sich der Tellerstapel dreht, schiebt die erste Kamm-Zinke den Reis zum Loch in dem Teller, er fällt hindurch, auf den darunter liegenden Teller, wo die Trocknung fortgesetzt wird und der Transport weiter nach unten auch. Passiert das häufig genug, kommen unten getrocknete Reiskörner an. Naja, oder eben Kohle.

Dumm war daran nur, dass die Trocknungstemperatur bisweilen schon ausreichte, einen Brand zu verursachen. Von 1914 an wurden daher Röhrentrockner installiert, hier war diese Gefahr nicht ganz so groß, außerdem arbeiteten sie wirtschaftlicher. Um dieses technische Prinzip zu verstehen, holen wir unseren Revolver aus dem Nachttischchen.

Wir nehmen die Revolvertrommel heraus, setzen sie auf eine hohle Welle, die im Inneren durch Dampf erhitzt wird und damit die ganze Trommel erwärmt. Dort, wo die Patronen hineingesteckt werden, lassen wir die Kohle rieseln. Wenn wir nun die Trommel drehen und schräg nach unten geneigt halten, wird das kontinuierlich eingefüllte Material nicht nur trocken, sondern auch von der natürlichen Schwerkraft zum Ausgang befördert. Selbstverständlich hat ein Röhrentrockner viel mehr als nur sechs solcher Öffnungen, aber hier geht’s ja nur ums Prinzip.

Das SchwungradSo, jetzt haben wir die Kohlekörnchen mit 20 Prozent Wassergehalt nur noch in eine der sieben Pressen zu stecken, die mit einer Stoßkraft von 1,5 Tonnen pro Quadratzentimeter zuschlägt. Um diese Kraft zu Stande zu bringen, mussten die Pressen von gut zwei Meter hohen, massiven Schwungrädern angetrieben werden. Und diese wurden auch per Dampfkraft in Schwung gehalten.

Mit einer Leistung von 600 Tonnen Briketts pro Tag war "Louise" eher ein Winzling. In Schwarze Pumpe Mitte bringt ein modernes Werk 10 000 Tonnen täglich, berichtet Jürgen Bartholomäus, der uns durch "Louise" führt. Er hat dort schließlich lange Jahre gearbeitet und kennt sich bestens aus. Für Führungen meldet man sich am besten bei ihm an unter 03 53 41/940 05 (Museum) oder /949 26 privat.

Direkt südlich von Doberlug liegt Bad Erna, an einem kleinen See. Und dort wiederum finden wir ein Resto, das wir vor unserer Rückfahrt nach Berlin überfallen. Speisen, Getränke und Tempo der Lieferung bewerten wir als knapp vor super, also mit vier Helmen unseres Futter-Reiseführers durchs Umland.

Der Weg nach Doberlug-Kirchhain führt für all jene, die füchten, sich zu verfahren, bis nach Finsterwalde über die B 96. Experimentierfreudige hingegen finden eine ganze Reihe von Nebenstraßen, besonders schön wird’s von Baruth aus über Dahme nach Süden. Zurück nach Berlin nehmen wir jedenfalls den schnellen Weg über die Bundesstraße. Es ist mal wieder spät geworden...

So steht's auf TSP-Logo-Motorradseite. Der Autor Gido hat den Klau freundlichst genehmigt.

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THE END
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