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Die Rausfahrer

Report 26.9.99
Und wieder Ferropolis

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Segeln, so sagen jene, die es wissen müssen, Von unten und von oben: Näsedas ist wie voll bekleidet unter der kalten Dusche stehen und Hundertmarkscheine zerreißen. Wenn das stimmt, dann hat Motorrad fahren etwas von Tiefseetauchen - jedenfalls am vergangenen Wochenende. Ein untrügliches Zeichen ist das Wachstum von Schwimmhäuten zwischen den Fingern, und das war auch nötig, lieber Häute als morgen, sozusagen. Sicher, ein Teil des Tagebaus hier, bei Ferropolis, soll ja geflutet werden, aber, Herrje, doch nicht an einem einzigen Tag?

So, nu isses 'raus, wir waren wieder unter Baggern - in jeder denkbaren Bedeutung dieser Aussage. Ausladender Ausleger mit KommandostandFerropolis, das liegt zwischen Oranienbaum und Gräfenhainichen, an der B 107, wo sie in kühnem Brückenschwung über Eisenbahngleise hinwegzieht. Linkerhand stehen auf den Gleisen historische Güterwaggons und Lokomotiven, ein Verein hat hier ein Stück Ferropolis-Gelände gepachtet. Kein schlechter Wegweiser, obschon man die Stahlkolosse der Eisenstadt schon von der Bundesstraße aus am Horizont erkennen kann.

Ferropolis, das sind heute noch ein paar seit der Wende ziemlich naturbelassene Gebäude und fünf dieser Bagger am Rande des ausgekohlten Tagebaus Golpa-Nord. Der war 1958 als Reserve für die Kraftwerke Vockerode und Tschornewitz aufgeschlossen worden und 1990 termingerecht leer, erläutert Ferropolis-Geschäftsführer Guido Till. Um die etwa 70 Millionen Kubikmeter Kohle herauszuholen, mussten 340 Millionen Kubikmeter Abraum bewegt werden.

Schalttafel in der TrafostationNachdem die Kohle geborgen und verfeuert war, wäre eigentlich alles den üblichen Weg gegangen, hätten nicht Architekten am Bauhaus Dessau Alarm geschlagen. Sie waren der Meinung, dass 100 Jahre Bergbau, so, wie er in der Gegend betrieben wurde, nicht einfach spurlos verschwinden dürfe.

Schließlich liegt der Wörlitzer Park, angelegt vom Fürsten Pückler, quasi um die Ecke. Warum, so fragten die Bauhäusler, sollte man dem Garten- und Landschaftspark nicht einen Industriepark als Kontrapunkt daneben setzen? Der See, der hier entstehen soll (und der die Halbinsel Ferropolis umschließen wird), dürfte ohnehin über 20 Jahre hinweg nicht richtig zu nutzen sein, denn für das Wasser sind jede Menge Salze aus dem freigekratzten Boden verfügbar geworden. Darin zu baden, das dürfte nicht sehr angenehm sein.

Nun stehen hier Tagebau-Großgeräte in einer Menge zusammen, die sonst nicht wieder zu finden ist. Vier von ihnen sollen wieder in einen vorführbaren Zustand versetzt werden, sie werden zwar nicht von der Stelle fahren, aber auf Wunsch ihre Abraumgeräte bewegen. Doch damit allein wird Ferropolis auf Dauer kaum überleben können, und das ist generell schwierig in einer Umgebung, die mit 23 Prozent Arbeitslosigkeit nicht gerade verwöhnt ist. Auf Subventionen kann man sich langfristig auch nicht stützen. Es gilt also, der Kraterlandschaft Leben einzuhauchen.

Die eigens gegründete GmbH kaufte die Bagger von der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) für 16,44 Mark und übernahm das Gelände. Ganz oben wars's windig und nassAlles Andere wurde viel teurer - schließlich muss selbst beim Wasser- und Abwasseranschluss eine Distanz von 2,5 Kilometer bis zur Bundesstraße überwunden werden, und das kostet viel... Rund 2,5 Millionen Mark wurden bereits investiert, die selbe Summe dürfte noch hinzu kommen.

Immerhin fanden in diesem Jahr schon mehr als 30 000 Besucher hierher, und im nächsten Jahr werden es bestimmt noch wesentlich mehr sein. Denn Ferropolis ist Korrespondenzregion Sachsen-Anhalts für die Expo 2000 in Hannover. Der NDR-Kultursommer wird hier veranstaltet, Mikis Theodorakis schreibt sogar an einer Oper, die hier aufgeführt werden soll. Bis dahin wird sich noch einiges tun auf dem Areal. Zu sehen ist schon eine "Arena", ein Freilufttheater für 25 000 Besucher. Jonathan Park, der Bühnendesigner der Stones und von Pink Floyd, entwarf sie.

Denn Till will die finanzielle Eigenständigkeit der Eisenstadt durch kommerzielle Veranstaltungen - zum Beispiel eben Konzerte und Theater-Aufführungen - erreichen. Leipzig und Halle sind ja nicht weit entfernt, selbst nach Berlin sind es nur 108 Kilometer. Besucher sollen bereits auf einem Parkplatz an der Autobahn in einen Shuttle-Bus umsteigen können, für Eisenbahnfreunde ist ein eigener Anschluss geplant. Immerhin: Wörlitz sowie das Naturschutzgebiet Dübbener Heide befinden sich in direkter Nachbarschaft - Ausflügler fänden hier also ein ganzes Paket aus Natur und Kultur geschnürt.

Neben aller Kultur soll jedoch auch die Arbeit der Menschen, also der Braunkohle-Abbau, erkennbar bleiben. Kein Fahrwerkstuning!Von der Trafohalle - hier wurde der Betriebsstrom der Bagger von 6000 Volt aus dem 30 000-Volt-Netz umgeformt - geht es in die Schaltwarte, an der ebenfalls nichts verändert werden soll. So schaffen die Tapeten an den Wänden und Gardinchen sowie die bräunlichen Sonnenblenden an den Fenstern durchaus einen Eindruck davon, wie es sich hier arbeitete, wie die Menschen versuchten, sich neben aller Technik wenigstens ein bisschen Heimeligkeit einzurichten.

Nunja, daran wird immer noch gearbeitet, jetzt freilich unter anderen Vorzeichen - so sucht Till zum Beispiel einen Betreiber für Gastronomie, damit es hier endlich etwas zu futtern gibt.

Uns knurrt nun auch der Magen, der Regen hat etwas nachgelassen, also los, nach Oranienbaum, in den Goldenen Hirschen - gegenüber vom Schlösschen. Die Soljanka schmeckt schön scharf, das restliche Futter ist auch nicht schlecht - und plötzlich scheint die Sonne. Mit ihr links im Rücken geht es wieder nach Haus, jetzt über Bundesstraßen, auf denen inzwischen kaum noch Autoverkehr herrscht.

So steht's auf TSP-Logo-Motorradseite. Der Autor Gido hat den Klau freundlichst genehmigt.

Baggerpanorama im herbstlichen Nieselregen

THE END
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