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Die Rausfahrer

Report 24.10.99
Wasserwerk und Dampfmaschine am Müggelsee

Keen tracklog heute!

"Sitt" ist ja das neue Kunstwort für "nicht durstig", offenbar eine Analogie zu "satt". Naja, wenn ein Problem gelöst wird, entstehen immer mehrere andere. Frage: Ist jemand, der nicht durstig ist, nun ein Sittich - der Quartalssäufer gar ein Wellen-Sittich? Und schlimmer: Kaiserliche Erklärungen..Man stelle sich einen etwas schüchternen Kneipengast vor, der der Bedienung mitteilt, er fühle sich "unsittlich", also durstig? Tja, mach nur einen Plan... Aber der Zufall hilft oft unerwartet, das erlebten wir auch am vergangenen Sonntag.

Eigentlich wollten wir ja mit den Motorrädern in die Ferne schweifen, aber der Himmel sah anfangs nicht sehr vertrauenserweckend aus. Also kam die Idee auf, erst mal das Wasserwerksmuseum Friedrichshagen am Müggelsee zu besuchen, und dann weiter zu sehen. Wir hatten nicht mit Monika Kaiser gerechnet. Wissensdurstig waren wir angekommen, nach zwei Stunden waren wir - um beim Thema Wasser im Bild zu bleiben - eben "sitt", aber da war wirklich nichts Überflüssiges unter den Informationen. Denn Monika Kaiser hat eine sehr anschauliche, leicht verständliche Art, gleichermaßen soziale und technische Zusammenhänge darzustellen.

Wie es sich mit Wasserver- und Abwasser-entsorgung lebt, weiß heute jeder, im Gegenteil, man kann sich nicht vorstellen, wie's denn noch vor 150 Jahren in großen Städten wie Berlin ausgesehen haben mag (vielleicht klappt's ja beim Jahreswechsel, wenn der Y2K-Computercrash alles lahmlegt). Problematisch ist dabei nicht so sehr die Wasserbeschaffung. In Berlin liegt der erste Grundwasserhorizont sehr dicht unter der Erdoberfläche. Die Versorgung per Brunnen ist nur reichlich mühsam, sofern man dafür keine Sklaven hat. Wohlhabende hielten sich schon vor rund 400 Jahren eigene Anlagen im Haus, die dazu notwendigen Rohrleitungen bestanden damals aber aus ausgehöhlten Baumstämmen.

Schlimmer sah's schon mit der Abwasser-entsorgung aus. Wenn überhaupt, dann stand eine Grube mit Plumpsklo zur Verfügung, eine Sickergrube also. Feststoffe mussten in bestimmten Zeitabständen herausgeholt werden, die flüssigen Abfälle passierten das Erdreich. Und da diese "Grundwasseranreicherung" allzu oft in großer Nähe zur Trinkwassergewinnung stattfand, ist verständlich, dass Infektionskrankheiten wie Cholera oder gar Pest leichtes Spiel hatten.

Vor allem zu jener Zeit, da die Stadt geradezu explosionsartig zu wachsen begann. Nach 1815 gab's einen ersten Zuwanderungsschub, nach 1850 einen zweiten und ab 1873 einen dritten. Dies verschärfte auch die Probleme bei der Beseitigung der mehr oder weniger festen Stoffe. Dies verlief nicht appetitlich: Arbeiterinnen hatten die Aufgabe, die stinkende Pampe per Eimer abzuholen und auf die Flussbrücken zu transportieren, wo der Inhalt ausgekippt wurde. Diese Tätigkeit war nur nachts gestattet. Um 1830 kübelten pro Jahr rund 200 000 Eimer allein die Jungfernbrücke ihren Inhalt hinunter...

Wasser- keine GülllepumpeZwar war es bei Strafe verboten, die Nachttöpfe in den Rinnstein zu entleeren, aber mancher hielt sich nicht daran. Überhaupt, die Rinnsteine. Sie waren ja eigentlich gebaut worden, damit die Straßen nach Regenfällen schnell entwässerten. Die Straßen selbst waren so angelegt worden, dass sie von den Höhenzügen zu den Flüssen hin ein Gefälle aufwiesen. Der Regen wusch also die Stadt sauber von jedwedem Dreck, von Pferdemist und Staub.

Das reichte natürlich nicht, und so beauftragte Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. 1840 den Berliner Polizeipräsidenten Ludwig Friedrich von Hinckeldey, eine Wasserversorgung zu errichten. Dabei ging es also nicht nur um die Wasserversorgung der Haushalte, sondern auch um das Spülen der Rinnsteine. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu wissen, was die Berliner mit ihren Stoffwechsel-Endprodukten taten, als das Wasser endlich lief...

Auf der Suche nach Ingenieuren und Kapital wurde Hinckeldey in England fündig. Henry Gill kam nach Berlin und errichtete am Stralauer Tor 1856 das erste Werk - nur nahmen die Berliner das Wasser ungern, weil sie doch wussten, was alles in die Flüsse geschüttet wurde. Bis man sie davon überzeugte, dass das Wasser am Oberlauf der Spree herausgeholt und in Sandbecken noch gefiltert wird, dauerte es eine ganze Weile.

Tegel und Friedrichshagen waren die weiteren Stationen Gills, der sich in Berlin ansiedelte. In Tegel versuchte er, allein Grundwasser zu zapfen, ging damit aber zunächst baden. Denn das Grundwasser ist stark von gelösten Eisen- und Mangansalzen belastet, das schmeckt grausig. Erst später fand man eine Methode, die zweiwertigen Eisenverbindungen in dreiwertige zu oxidieren, letztere flocken dann aus und können herausgeholt werden.

1889 begann Gill also mit dem Bau der Anlagen in Friedrichshagen. Sie sollten dem erwarteten Wachstum der Stadt entsprechen und waren, gemessen an den damaligen Bedürfnissen, entsprechend riesig. Das Museum selbst befindet sich im Schöpfmaschinenhaus B, wo bis zum August 1979 mittels dreier Dampfmaschinen-Pumpen Wasser aus dem Müggelsee geholt und den Langamfilteranlagen zugeführt wurde. Eine der Pumpen mit ihren tonnenschweren Schwungrädern kann heute noch elektrisch in Bewegung versetzt werden. Mit jedem Hub transportierte sie mehr als einen halben Kubikmeter Wasser, 50 Umdrehungen lief sie pro Minute. Dies mal drei Pumpen, alles zusammen mal drei Schöpfhäuser - da kam schon was(ser) zusammen...

Alteisen in Märkisher BacksteingotikTegel und Friedrichshagen versorgten aber nur Berlin (den heutigen Kern). Charlottenburg, Wilmersdorf, Steglitz, Tempelhof - das waren aber auch schon Städte - teils mit echten Stadtrechten - geworden, sie kamen erst 1920 mit der Eingemeindung zu Berlin. Auch hier gab es um die Jahrhundertwende viele Bewohner, die versorgt werden wollten. Dies geschah mittels kleinerer, anfangs privater, dann bald kommunaler Wasserwerke. Ein Teil von ihnen entstand unter der Leitung der Charlottenburger Wasser- und Industriewerke, "Charlotte Wasser" genannt. Sie ging 1945 vollends in den städtischen Wasserwerken auf.

Die Abwasserbeseitigung begann 1875-78 mit der Verwirklichung der Pläne des Stettiner Baurats James Hobrecht und des Mediziners Rudolf Virchow. Ihr radiales System zog einen Ring ums damalige Berlin, dorthin entwässerten neu gebaute Kanäle im natürlichen Gefälle. An der tiefsten Stelle, dort, wo die Kanäle zusammentrafen, entstanden Pumpwerke, die das Abwasser auf die Rieselfelder in Gatow, bei Schönerlinde, Münchehofe, Waßmannsdorf, Marienfelde, Osdorf und Stahnsdorf drückten.

In den 20er Jahren wurden die Rieselfelder erst mit mechanischen, später auch mit biologischen Vorreinigungsstufen ausgestattet. Von den 60er Jahren an wurden ganze Klärwerke gebaut, deren Klarwasser so sauber ist, dass es direkt in die Gewässer (etwa in den Teltowkanal) geleitet werden kann.

Zum Stand der Klärwerkstechnik gehört heute auch eine (biologisch-)chemische Reinigungsstufe, die Stickstoff- und Phosphorverbindungen aus dem Wasser herausholt. Denn diese Stoffe überdüngen die Gewässerpflanzen, das starke Wachstum führt zu dicken Faulschlammschichten, zu Sauerstoffmangel und Fischsterben. Dies verhindert nun die "chemische Reinigung".

Von hier aus thematisch zu einem Fischsterben ganz anderer Art zu kommen, ist natürlich schwer, aber Forelle und Zander kann man auch lecker zubereiten. Bei nun deutlich besserem Wetter führte die Tour über Erkner in Richtung Königs Wusterhausen, wo wir im Ortsteil Neue Mühle Riedel's Landgasthof überfielen. 17 Leute gleichzeitig und ohne Vorwarnung, das schuf kleinere organisatorische Probleme, aber vier von fünf möglichen Helmen geben wir denn doch in unserem Resto-Umlandführer.

Sitt und satt ging's nur kurz zum Funkerberg in KaWe, es hätte sich zeitlich nicht mehr gelohnt, die doch wohl große und interessante Ausstellung zur Entstehungsgeschichte der Funkerei und des Rundfunks in einer halben Stunde durchzuhecheln. Statt dessen führte die Tour im großen Bogen um die Stadt herum zurück nach Haus. Weit in die Umgebung verlief der Ausflug diesmal nicht, jedenfalls nicht von der Strecke her, aber immerhin von der geschichtlichen Entwicklung.

So steht's auf TSP-Logo-Motorradseite. Der Autor Gido hat den Klau freundlichst genehmigt.


THE END
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