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So kann man sich täuschen. Da dachten wir am vergangenen Sonntag an die Urlaubszeit und die prognostizierte Hitze, und stellten uns die Frage, ob überhaupt jemand zur Burgentour mit Abstecher zum Hans-Grade-Museum in Borkheide kommt. Aber dann waren's mehr denn je. 27 Leute auf 22 Moppeds trafen sich also an der Marienfelder Allee, darunter auch "einige neue Gesichter, die wir begrüßen konnten", wie's in Vereinsperiodika immer so nett heißt. Da wir aber kein Verein sind, konnten wir uns alle Formalitäten sparen und sofort losdüsen. Angelika hatte die Tour über Nebenstraßen so gut vorbereitet, daß alle auf ihre Kosten kamen, die "Stollenfraktion" der Endurofahrer fand ihre Buddelkiste mit Sand reichlich gefüllt, während die Tourer und Sportler alternativ Asphalt vorfanden. Anfangs gab's Beeren, und zwar Groß- und Neubeeren, dann Nudow, Fahlhorst, Gröben hin nach Blankensee. Der ist zwar nicht zum Baden freigegeben, aber in dem Ort gibt's ein Schloß samt Lenné-Park, wo sich 1902 der naturalistische Schriftsteller Hermann Sudermann ansiedelte - tja, der Naturalismus beschrieb zwar die Armut, lebte aber nicht unbedingt in ihr. Schließlich muß man auch keine Eier legen können, um zu wissen, wann eines schlecht ist, gelle? Wir überschlagen hier mal die Naturalismusdebatte der SPD (1896 auf dem Gothaer Parteitag), die war 103 Jahre jünger als heute und damals gab's doch auch noch Arbeiter und Elend. Über Kähnsdorf, Beelitz und Birkhorst geht es nach Borkheide, wo eine ausgediente Turboprop-Iljuschin (IL 18) zum Museum umgebaut wurde. Und damit sind wir thematisch bei Hans Grade, dem Flugpionier, Motorrad-, Auto- und Motorenkonstrukteur. Der gebürtige Kösliner interessierte sich schon früh für Lilienthals Arbeiten, aber die Zeit für den Motorflug war noch nicht reif. So begann der 25jährige 1904 in Magdeburg mit dem Bau eigener Motorräder, die auch erfolgreich an Rennen teilnahmen. Das ist jedenfalls kein schlechter Anfang.
Grades Brandenburger Zeit begann mit dem Besuch des Ingenieurs und Grundstücksmaklers Rothgiesser. Dieser wollte bei Bork einen Flugplatz einrichten. Für einen Flugplatz braucht man Flugzeuge, logisch, und dafür brauchte Rothgiesser Grade. Im August 1909 wurde der Betrieb in Bork eröffnet, über 80 Flugzeuge entstanden bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges hier. Das Jahr 1909 hatte für den Motorflug besondere Bedeutung. Im August hatte Louis Blériot den Ärmelkanal überquert, Orville Wright veranstaltete Schau- und Übungsflüge in Berlin und im Umland, wo er mit über 300 Metern Höhe einen Weltrekord fliegt. In Johannisthal findet die erste Internationale Flugwoche statt, und Grade gewinnt den mit 40 000 Mark dotierten "Lanz-Preis der Lüfte". Dieser war von Industriellen für den ersten Deutschen Motorflieger ausgelobt worden, in zwei Minuten und 43 Sekunden war Grade um diesen Betrag reicher. Er steckte es in seine Flugzeugfabrik, die dadurch erst eine richtige wurde. Grade richtete eine Pilotenschule ein, arbeitete am Stummfilm "Flug zur Sonne" mit und begründete den ersten deutschen Post-Motorflug: am 18. Februar 1912 flogen die ersten Briefe zwischen Brück und Bork, bald darauf auch nach Beelitz und Fichtenwalde. Aber da es keine Genehmigung der Reichspost dafür gab, war's schnell vorbei damit. Nach dem Ersten Weltkrieg war's mit der Fliegerei und dem Flugzeugbau in Deutschland erst mal aus, alles, was zur Rüstung gebraucht werden konnte, war von den Alliierten verboten worden. Dies hinderte die Reichswehr zwar nicht, undercover mit dem russischen Militär zu üben, aber eine Flugzeugfabrik in der Nähe von Berlin - das wäre wohl doch zu auffällig gewesen. Wie viele andere Flugzeugkonstrukteure mußte auch Grade aufs Land umsatteln, also Autos bauen. So entstanden unter anderem ein 800-Kubik-Zweitakt-Einzylinder, der 85 km/h erreicht haben soll, bald folgte ein ebenfalls luftgekühlter Zweizylinder, der auf 105 km/h gebracht werden konnte. Eines dieser Fahrzeuge aus dem Jahr 1923 war jüngst auf dem AvD-Jubiläumsfest auf der Straße des 17. Juni zu sehen. Wie bei Edmund Rumplers Tropfenwagen waren auch die Konstruktionen von Grade dem Flugzeugbau entlehnt - windschnittig mußte es sein. Übrigens ist der Windwiderstandsbeiwert der Rumpler-Karosserie jahrzehntelang ein Optimum im Autobau geblieben. Das Werk in Bork expandierte schnell, um die 700 Arbeiter wurden dort beschäftigt. Außerdem entstand in Berlin noch eine Motorenproduktion - ob tatsächlich in der (nach ihm benannten) Tempelhofer Gradestraße, das war nicht zu klären, es ist aber zu vermuten. Die Inflationszeit jedoch machte Grade schwer zu schaffen, er mußte den Autobau einschränken, dann aufgeben. Der Motorenbau lief weiter, zu sehen sind im Museum zum Beispiel Bootsmotore. Nach so viel Luft für den Kopf mußte was in den Magen. Wir fielen standesgemäß beim Fliegerheim ein, das liegt an der Hauptstraße Borkheides. Der Wirt stutzte kurz, als wir mit dem üblichen Tischerücken beginnen, dann aber blödelte er ordentlich mit. Die Atzung kam prompt und für alle gleichzeitig, sie war lecker und der Preis vernünftig. Und da beim Fliegerheim alles stimmt, darf's gelobt werden: In unserem Motorrad-Restaurantführer wird er dafür mit fünf Helmen ausgezeichnet. Bei den Umlandfahrten haben wir's nämlich schon anders erlebt.
Weiter ging es nach Belzig, wo einige Leute die Gelegenheit nutzen, zu türmen. Sie stapften nämlich auf den Burgfried von Eisenhardt, auf den sogenannten Butterturm. Von diesem aus hat man einen weiten Blick ins Land - dazu ist er ja auch gebaut worden. Das Burgfräulein von heute hat jedoch keine langen blonden Haare wie Rapunzel, vergißt die Sahne auf dem Eis und hat kein Wechselgeld für Zigaretten. So gibt es aber wirklich keinen Helm in unserem Moppedfahrer-Spachtel-Buch. Als der Abend nahte, drückte die Hitze immer noch, die Gruppe beging Zellteilung. Die einen zog es nach Haus, die ganz unentwegten düsten weiter. Hoffentlich sind sie spätestens heute abend angekommen, denn morgen geht's ja wieder los. So steht's auf
Fortsetzung
Zurück ging es fast nur über legale Sandpisten und durch eine Furt, die nicht alle folgenlos durchquerten. Unsere geübte Bruchpilotin nahm eine Wasserprobe, die Yamaha mußte durch Rausschrauben der Zündkerzen wieder trockengelegt werden. Die Gerüche von Feldern, Seen und Wäldern wurden in der Dämmerung immer stärker. Im Dunkeln durchquerten wir einen geheimnisvollen Wald voller Bunker in der Nähe von Kemnitz und retteten uns gegen 23:00 über die Stadgrenze von Berlin vor allzuviel Natur.
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